Dichtung und Wahrheit

Vorbemerkung

Zwischen einem historischen Roman und einem Geschichtsbuch
gibt es große Unterschiede. Während sich der seriöse Historiker
streng an geschichtliche Fakten hält, nimmt sich der Romanautor
Freiheiten heraus. Aber trotzdem ist auch der Romanautor auf
der Suche nach der Wahrheit. Nur mit anderen Mitteln. Zumin‑
dest trifft dies auf den seriösen historischen Roman zu. Der
Roman kann dem Leser eine vergangene Zeit durch Figuren, die
Konflikte durchleben, auf der emotionalen Ebene intensiver nä‑
herbringen, als es ein Fachbuch vermag. Aber das hat auch sei‑
nen Preis, da Ungenauigkeiten meist nicht zu vermeiden sind,
die sich der Historiker nicht erlauben darf.
Doch ob Historiker oder Romanautor, beide sind Kinder ihrer
eigenen Zeit. Der Blick in die Vergangenheit ist zugleich auch ein
Spiegel unserer Gegenwart. Befreit vom Ballast unserer Vorbe‑
halte und Narrative der Gegenwart und konfrontiert mit den
Werten der antiken Welt, vermag die ungetrübte Sicht auf die
Vergangenheit einen schärferen, unverklärten Blick auf die
Gegenwart zu werfen.
Die Handlung in meinem Roman ist eine Verknüpfung wahrer
geschichtlicher Ereignisse und künstlerischer Fiktion, in der
historische Personen und fiktive Figuren miteinander agieren.
Die Geschichten von Verus und Licinia, von Priscus, Tullius,
Catulus und Philippus sind allesamt erfunden. Aber ich hoffe, gestützt auf meine jahrelangen intensiven Recherchen zu Recht sagen zu können, dass ihre Geschichten den strengen Rahmen
des historisch‑kulturellen Kontextes nicht sprengen, was
bedeutet: Sie könnten sich so auch ereignet haben.
Bei den historisch‑politischen Hintergründen hingegen habe
ich mich im Großen und Ganzen an die Überlieferungen
gehalten. Im Folgenden sollen die wichtigsten Abweichungen
und Quellenhinweise aufgeführt werden.

Die Gladiatoren Verus und Priscus
Die Namen der Gladiatoren Verus und Priscus sind durch den
römischen Dichter Marcus Valerius Martialis im Epigramm 29
seiner Sammlung »Liber Spectaculorum« überliefert. Es handelt
sich übrigens um die einzige detaillierte schriftliche Beschrei‑
bung eines Gladiatorenkampfes aus der Antike. Zwar sind die
Details des Gladiatorenkampfes in meinem Roman fiktiv, doch
muss es sich nach dem Epigramm um Spitzenathleten gehandelt
haben, deren Kampf außergewöhnlich war. Dem interessierten
Leser empfehle ich die Inauguraldissertation zur Erlangung der
Doktorwürde der Fakultät für Sprach‑, Literatur‑ und Kulturwis‑
senschaften der Universität Regensburg, vorgelegt von Stefan
Rudolf Beck (2015): „Ferrum est quod amant – Das Amphitheater
in der lateinischen Literatur des ersten und zweiten Jahrhunderts
unter politischen und gesellschaftskritischen Aspekten.“
Die im Roman erzählten Lebensgeschichten von Verus und
Priscus sind frei erfunden.

Titel und Regeln der Gladiatoren
Man weiß nur, dass die Gladiatoren nach strengen Regeln
gekämpft haben, doch Details sind kaum bekannt. Ich habe mich
deshalb an Professor Marcus Junkelmanns experimentalarchäo‑
logischen Schaukämpfen, vorgeführt im Archäologischen Park
Xanten, orientiert und mich einiger Anleihen aus dem heutigen
Profiboxsport bedient, dessen Regeln ich fiktional angepasst
habe. Das Palus‑System hat es wahrscheinlich gegeben, das ver‑
schiedene Leistungsklassen abbildete. Aber es hat wohl nur
innerhalb eines Ludus gegolten, anderenfalls hätte es ja eine Art
Gladiatorenverband vorausgesetzt, was ich für ziemlich
unwahrscheinlich halte. Da ein Autor Gott über sein Romanuni‑
versum ist, erwirbt in meinem Roman ein Kämpfer ludusüber‑
greifend den Palus, also den Pfahl seines unterlegenen Gegners,
wie heute der Boxer einen Gürtel. So habe ich auch den fiktiven
Titel eines Primus Palus Maximus vergeben, also quasi eines
Superweltmeisters analog zu Wladimir Klitschko, der eine solche
Bezeichnung zeitweilig im Verband World Boxing Association
(WBA) getragen hat.

Vespasians Wunderheilungen
Soweit man Tacitus glauben kann, hatte Vespasian tatsächlich zur
Legitimierung seines kaiserlichen Herrschaftsanspruchs
»Wunderheilungen« durchgeführt. Die Geschichte um den
Galiläer, die Vespasian im Roman zeitweise in Bedrängnis
brachte und die Reputationskrise seines Sohnes Titus später
verschärfte, ist allerdings erfunden. Nicht erfunden ist aber Titus’
Ansehensverlust infolge der Naturkatastrophen und des Brandes
in Rom. Ohne Zweifel waren das Amphitheater und die Spiele
bedeutende Herrschaftsinstrumente des Kaisers. Inwieweit sie
zur Überwindung seiner Krise beigetragen haben, mag dahinste‑
hen. Wir sind sowieso auf die Hofberichterstatter Tacitus, Sueton
und andere antike Autoren angewiesen. Demnach hatte Titus,
der während der Herrschaft seines Vaters als Prätorianerpräfekt
die »Drecksarbeit« zu verrichten hatte und dem noch zu Beginn
seiner Herrschaft ein schlechter Ruf anhing, einen beeindrucken‑
den Charakterwandel durchlebt. So soll er sich laut Sueton
während seiner kaiserlichen Herrschaft, die kaum länger als zwei
Jahre dauerte, zum Liebling des Menschengeschlechtes entwi‑
ckelt haben.
Die Hinrichtung des Generals Caecina (historisch Aulus
Caecina Alienus), den Titus nach einem Abendmahl abstechen
ließ, ist überliefert. Allerdings sind Motiv und Zeitpunkt andere
als im Buch. In Wirklichkeit war es bereits während der Herr‑
schaft seines Vaters, dass Titus, damals noch in seiner Funktion
als Prätorianerpräfekt, Caecina beseitigen ließ, weil dieser an
einer Verschwörung gegen Vespasian beteiligt gewesen war.
Caecina hatte unter Galba tatsächlich als Legatus gedient. Er war
allerdings zu dem Zeitpunkt, als im Roman der Galiläer entführt
wurde, Quästor in Baetica.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die fiktive Ermordung
des Generals im Widerspruch zu Sueton steht, der Titus eine
ausgeprägte Milde gegenüber aufsässigen oder gar verschwöre‑
rischen Gegnern bescheinigte, was aber auch nur Propaganda
gewesen sein könnte.

Kaiser Vespasian und der Stoiker Helvidius
Der im Roman von Priscus ermordete Senator Helvidius hieß
Gaius Helvidius Priscus. Grundsätzlich sind alle Darstellungen
über ihn im Roman der Überlieferung nachempfunden, mit
Ausnahme seines Todes. Er wurde in Wirklichkeit nicht von
einem Gladiator ermordet. Darüber, wie er zu Tode gekommen
ist, gibt es unter Historikern keine einheitliche Meinung. Nicht
einmal das Todesjahr ist gesichert. Wahrscheinlich ist er auf
Veranlassung Vespasians hingerichtet worden. Die Hofberichter‑
statter scheinen wohl die wahren Umstände vertuscht zu haben,
da sie Vespasian als guten Kaiser in die Geschichte eingehen
lassen wollten.
Der Disput zwischen Vespasian und Helvidius zur Frage der
Kaisernachfolge in Teil 2 Kapitel 2 des E-Books bzw. Kapitel 43 im Printbuch ist in den Schriften des
stoischen Philosophen Epiktet überliefert. Er soll sich wohl in
Form eines Briefwechsels zugetragen haben, den ich als Dialog
übernommen habe.
An dieser Stelle möchte ich den geschichtsinteressierten
Lesern ein in der Reihe „geschichte kompakt“ unter dem Titel
»Die Zeit der Flavier« von der wissenschaftlichen Buchgemein‑
schaft Darmstadt veröffentlichtes Buch empfehlen (Autor: Stefan
Pfeiffer; Herausgeber: Kai Brodersen), welches mich beim
Schreiben des Romans sehr inspiriert hat. Dem Autor und dem
Herausgeber sei hier ausdrücklich gedankt.
Das Verständnis des Verhältnisses zwischen Helvidius und
Vespasian verdanke ich Prof. Dr. Jürgen Malitz, Katholische
Universität Eichstätt, Lehrstuhl für Alte Geschichte („Helvidius
Priscus und Vespasian. Zur Geschichte der ›stoischen‹ Senatsop‑
position“, erschienen in: Hermes 113, 1985, S. 231 – 246).

Domitians und Othos Intrige gegen Vespasian
Die Rolle Othos im Vierkaiserjahr wurde korrekt dargestellt,
allerdings gehört das Komplott mit Domitian der Dichtung an.
Überliefert ist das frühe Machtbestreben Domitians, seine
Aversion gegenüber seinem Bruder Titus und seine Zurückstel‑
lung durch den Vater.

 

Vitellius’ Ermordung auf dem Forum …
… fand in Wirklichkeit auf der Gemonischen Treppe statt, die
unterhalb des Kapitols zum Tiber führte. Der Hingerichtete
wurde dort in den Tiber geworfen und trieb dann weiter hinaus
aufs Meer. Von dort aus war ihm nach antiker Vorstellung der
Zugang zur Unterwelt verwehrt, was als besonders grausam und
entehrend galt.

 

Domitians Feldzug in Germanien
Domitian ist tatsächlich nach Germanien gereist. Als er 70 n. Chr.
in Mainz ankam, hatte der Feldherr Cerialis den Aufstand bereits
niedergeschlagen. Die Bataver gingen aus dem Aufstand
ungeschoren hervor. Gewöhnlich wurden Aufständische von den
Römern zur Abschreckung brutal bestraft (siehe judäischer Krieg
in Teil 1 Kapitel 2). Wie es dazu kam, dass sie verschont blieben,
ist nicht bekannt, weil dieser Teil von Tacitus’ Historien, der
darüber Auskunft geben könnte, leider verschollen ist. Ich habe
mir erlaubt, die Lücke in freier Dichtung auszufüllen. Mit der
erfundenen Gefangennahme Domitians habe ich einen guten
Antrieb für die Handlung Thorbrands gefunden.

 

Niedermetzeln der Kinder in Gerasa
Die Stadt Gerasa, heute bei Jerash, liegt im Norden Jordaniens.
Die Ruinen können noch heute besichtigt werden. Während des
jüdischen Krieges wurde Gerasa von den Römern vollständig
zerstört, erlebte aber im 2. Jh. eine neue Blütezeit.
Das Niedermetzeln der Kinder während des Angriffes ist
nicht überliefert und somit fiktiv. In der Antike gab es kein
humanitäres Völkerrecht, wie wir es heute kennen. Das Leben
von Zivilisten wurde den politischen und militärischen Zielen
radikal untergeordnet, wie es zum Beispiel Cäsar in seinem
»Gallischem Krieg« überliefert hat. Die beschriebene Szene der
Kinder und die Einordnung Vespasians im Folgekapitel sind
vom historisch‑kulturellen Kontext her korrekt, das heißt, sie
hätte sich so zugetragen haben können.

 

Ein Adliger in der Arena – gab es das?
Ja, das gab es. Im Rahmen der Prolusio, des Vorkampfes, bei dem
Scheingefechte mit stumpfen Waffen stattfanden, demonstrierten
manchmal auch Adlige ihre Kampfkunst. Während ein Auftritt
eines Adligen oder Bürgers in den Hauptkämpfen auf Leben und
Tod entehrend wirkte, schadete der Auftritt während der
Prolusio dem Ansehen des Akteurs nicht. Am bekanntesten ist
wohl Kaiser Commodus, der solche Kämpfe aufgeführt haben
soll. Der Auftritt des Marcus Holconius Celer, der sich im Roman
während der Prolusio für seine Wahl zum Duumvir in Pompeji
bewirbt, ist allerdings fiktiv.

Die Witwe Julia Felix
Bei den Ausgrabungen in Pompeji stieß man auf ein Gebäude mit
eigenartiger Struktur. Es gehörte einer Julia Felix. Die Archäolo‑
gen haben die These aufgestellt, dass es sich um eine Art Hotel
gehandelt haben könnte. Ich war so frei und habe die These
aufgegriffen und fiktional ausgebaut.

 

Zauberei im alten Rom
In Teil 2, im E-Book Kapitel 5, im Printbuch Kapitel 46, wird Verus von Semprosius, den er vom
Posten des Oberaufsehers verdrängt hatte, aus Rache der
Zauberei angeklagt. Verus verteidigt sich und wird vom
Gutsbesitzer Helvidius freigesprochen. Die Szene beruht auf
einem ähnlichen, von Plinius Secundus dem Älteren in seiner
»Naturalis Historiae« geschilderten Gerichtsfall.

 

Die Verfolgungsjagd
des abtrünnigen Prätorianerpräfekten Stilicus über die Via
Flaminia bzw. Via Cassia ist fiktiv.


Quarantäne in der Antike
soll es wohl noch nicht gegeben haben. Aber wer weiß das schon
so genau, nur weil derartige Maßnahmen erst ab dem Mittelalter
überliefert sind. Lange Zeit, sogar noch bis ins 19. Jahrhundert
hinein, glaubte man, dass das, was wir heute Infektionskrankhei‑
ten nennen, durch schlechte Luft entstand.

Wo kann man den Roman kaufen?